Gedanken, von Carl Osterwald

Mit großer Dankbarkeit und in tiefer Trauer erinnern wir uns an Carl Osterwald. Sein als Gedanken verfasster Text über die Geschehnisse um das KZ-Außenlager Engerhafe verfasste Carl Osterwald im Jahr 2015.

Gedanken

Hier waren sie eingesperrt
hinter Stacheldraht
elektrisch geladen.
Auf den Wachtürmen
Männer mit Gewehren.

Geschändet
in Lumpen gekleidet
in Nässe und Kälte,
Ungeziefer und Dreck.

Ausgesetzt
den Blicken der Bürger,
den Prügeln der Wächter.

Getrieben
zu sinnloser, qualvoller Arbeit,
ohne Rechte und Schutz
in Regen und Wind,
dem Mitleid entzogen.

2000 Männer aus dem KZ Neuengamme
wurden am 21. Oktober 1944 nach Engerhafe
transportiert, um Aurich durch einen
Panzergraben zur Festung zu machen
zum Schutz vor den andrängenden Feinden.
Der „Führer“ Adolf Hitler hatte
den Bau eines „Friesenwalles“ befohlen.

Jeden Morgen in Viehwaggons
von Georgsheil nach Aurich geschafft,
schlurften sie, schwerbewacht,
in Holzschuhen durch die Stadt,
zogen abends auf dem Rückweg
ihre Toten auf Karren
hinter sich her
vor aller Augen
zwei Monate lang.
Dann wurden sie, todkrank,
wieder nach Neuengamme geschafft.
188 blieben in Engerhafe,
verscharrt in einem Massengrab
neben der Kirche.

In Aurich und Engerhafe
wurde dies schweigend geduldet,
es ging nicht anders:
„Wir konnten nichts machen.“
Es war zu spät.
Der Zug des Bösen war nicht
mehr zu stoppen
und Menschen versanken in Schuld.
Und das Schweigen legte sich auf sie
wie ein Bann.

Eine kleine Gruppe Solidarischer,
die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregims“,
setzte bald nach 1946 Steine
auf das Grab der 188 Toten.

Der französische Suchdienst
identifizierte die Toten und gab einem
jeden Namen, Gesicht und Geschichte.

Einige Täter – so der Lagerleiter –
wurden vor Gericht gestellt.

Doch der Bann des Schweigens
brach nur langsam und zögerlich,
machte Entsetzen und
Fassungslosigkeit Platz und
einem entschlossenen
„Nie wieder!“

Mit einem Traum hatte es angefangen:
dem Traum von Deutschlands Macht und Stärke.
Ein Traum führte in eine brutale,
primitive Gewaltherrschaft.
„Nie wieder!“ heißt:
„Nie wieder solch ein Traum von Sieg und Größe!“
Es gilt und hat immer gegolten:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Die Erinnerung an das, was war
kann uns bewahren vor Wahnideen
und uns befreien und ermutigen
zu Friedfertigkeit und Versöhnung.

Die Gedenkstätte kann ein Wegweiser
in die Zukunft sein:
Hier können Menschen lernen,
sich die Hand reichen
sich begegnen, finden und würdigen.

Carl Osterwald