Zum Anlass der 80 Jahre Gedenkfeier der Existenz des KZ-Außenlagers Engerhafe am 25. Oktober 2024 hielt Joanne Brouwer eine Rede. Sie ist die Enkelin des in Engerhafe verstorbenen Gerrit Hellendoorn. Es folgt ihre Rede samt Fotos ihrer Familie:
GERRIT HELLENDOORN (Staphorst – Engerhafe)
(Ich möchte mich im Voraus entschuldigen für mein Deutsch, wollte aber trotzdem meine Geschichte in Ihrer Sprache erzählen. Es lebe Google Translate und wenn es nicht das richtige Deutsch ist, wissen Sie, wer dafür verantwortlich ist)
Ich erzähle diese Geschichte aus meiner Sicht, freue mich aber sehr, dass mein Cousin Peter Dijs auch hier ist. Er ist der älteste Sohn der Schwester meiner Mutter, wir haben also denselben Großvater. Es ist schön, dass wir uns gemeinsam an das Andenken unseres Großvaters und aller anderen Verstorbenen erinnern und sie ehren können.
Dies ist ein Foto vom Hochzeitstag seiner Eltern und auch das letzte Bild unseres Großvaters Gerrit Hellendoorn, ganz links. 1943.
Ich möchte Ihnen auch meine Mutter vorstellen.
Dies ist Alie (Aaltje) Hellendoorn. Ich glaube, sie muss hier etwa zehn Jahre gewesen sein
Sie wurde geboren in 1926
Und dann: August 1944.
In der Nacht vom 30. auf den 31. August 1944 wurde mein Großvater Gerrit Hellendoorn bei einer Razzia in Staphorst (im Nordosten der Niederlande) verhaftet.
Es handelte sich um eine Vergeltung für einen Angriff/Attentat des niederländischen Widerstands auf einen deutschen Militär.
Mein Großvater war nicht im Widerstand. Aber als Vergeltungsmaßnahme wurden 20 unschuldige Männer – im Dorf verhaftet und abgeführt. Es waren überwiegend Männer aus der Mittelschicht, (Mein Opa zum Beispiel war Ladenbediente). Also: Unschuldige Männer, die mit dem Attentat nichts zu tun hatten.
Meine Mutter – damals 18 – und meine Großmutter waren dabei, als er mitgenommen wurde.
Es war eine Nacht, über die kaum noch gesprochen wurde.
Die Trauer war zu groß, um sie in Worte zu fassen.
Die zwanzig Männer sind im Kamp Amersfoort inhaftiert. Auch mein Großvater Gerrit wurde nach Kamp Amersfoort (und nachher nach Arnheim) transportiert. Auf dem Weg nach Amersfoort gelang es ihm, eine Postkarte aus dem Zug zu werfen:
„Wir sind im Transport nach Arnheim. Weiter?
Vater“
Vieles über sein weiteres Schicksal blieb lange Zeit unbekannt.
Erst später wird klar, dass er von Neuengamme nach Engerhafe gebracht wurde, hier zur Arbeit eingesetzt wurde, starb, in einem Massengrab landete und schließlich auf dem Ehrenfeld in Osnabrück „umgebettet“ wurde.
Kurz zurück zu meiner Mutter.
Ganz gelegentlich ließ sie etwas über Opa verlauten, wie er sagte, wie glücklich er sei mit ihr und ihrer Schwester. Und sie mit ihm. Aber außer einem Foto auf dem Schrank hatte ich keine Ahnung, was für ein Mann das gewesen war.
Nur am 4. Mai (bei uns ist das der Abend des Nationalen Gedenktages der Zweiten Weltkrieg) war etwas vom Schmerz meiner Mutter zu spüren. Vor allem, als sich die Uhr langsam auf acht Uhr zubewegte. Wir sahen uns das Totengedenken im Fernsehen an und meine Mutter weinte leise. Wir schwiegen zwei Minuten lang.
Als Kind war es für mich immer ein drückender Abend und es fiel mir schwer, mit meiner Mutter darüber zu sprechen. Die Trauer eines anderen Menschen kann so groß sein, dass man Angst hat nahe zu kommen. Ich habe mich nicht getraut, weitere Fragen zu stellen, und so habe ich meinen Großvater nie kennengelernt.
Als meine Mutter an Alzheimer erkrankte, sagte sie, sie träume oft von ihrem Vater.
Im Januar 2018 starb meine liebe, sanfte Mutter im Alter von fast 92 Jahren.
Im selben Jahr erhielt ich erstmals eine Einladung zur Gedenkfeier hier in Engerhafe. Das war ein frappierender „Zufall“.
Ich lernte Menschen kennen, die hier auch einen geliebten verloren hatten.
Ich las auch im Museum hier darüber und es kam mir vor als lernte ich meinen Großvater immer besser kennen.
Und Ich war gerührt, als hier in der Kirche jedes Jahr sein Name verlesen wurde.
Und am nächsten Tag der Spaziergang zum Panzergraben. Immer mehr wurde die gestörte Erinnerung an meinen Opa zu einem greifbaren Menschen und zu einem echten Gedenken an sein Leben. An das Leben meines Großvaters und natürlich aller anderen Verstorben in Engerhafe.
Ich hörte an diesem Sonntagmorgen am Auricher Bahnhof von den Schrecken, die all diese Männer erlebten. Wie sie stinkend durch die Straßen liefen…
Unter welchen unmenschlichen Bedingungen sie am Panzergraben arbeiten mussten….
Mein Großvater wurde immer mehr zu einem Gesicht. Und ich konnte auch die Trauer meiner Mutter „eigener“ machen. Obwohl ich froh bin, dass sie von die Einzelheiten (Details) seines Aufenthalts nicht wusste.
Im Museum las und sah ich von der sorgfältigen Exhumierung durch die Franzosen im Jahr 1952.
Ich war sehr beeindruckt.
Als wir zu Hause über Massengräber sprachen, dachte ich, Opa sei mit Dutzenden Menschen in einem Grab begraben. Es stellte sich jedoch heraus, dass es „nur“ drei waren.
Das Bild wurde immer vollständiger.
Vor allem wegen der Art und Weise, wie Sie (von Verein Gedenkstätte KZ Engerhafe) und vielleicht die Deutschen im Allgemeinen mit der Kriegsvergangenheit umgehen. Das beeindruckt mich jedes Jahr aufs Neue.
Deswegen: Vielen Dank für die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die wir als Angehörige immer wieder von Ihnen erfahren. Danke, dass ich auf diese Weise meinen Großvater und die Umstände seines Todes näher kennenlernen durfte und einen Teil unser Familiengeschichte zu eigenen zu machen.
(Damit wir nicht vergessen, dass Leiden untrennbar mit unserem Leben verbunden ist, aber auch dass wir über dieses Leben hinausblicken können.)
Meine Mutter glaubte dass das irdische Leid eines Tages überwunden sein würde und dass sie ihren Vater wiedersehen würde. Bis dann:
Wie der Deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer das so schön ausgedrückt hat:
Alles hat seine Zeit,
es gibt eine Zeit der Freude,
eine Zeit der Stille,
eine Zeit des Schmerzes, der Trauer
und eine Zeit der dankbaren Erinnerung.
(an diejenigen die uns vorausgegangen sind)
Danke
Joanne Brouwer
Enkelin von Gerrit Hellendoorn (starb am 18. Dezember 1944 in Engerhafe)