Einführung in die Ausstellung »Zwangsarbeit für die Wehrmacht«

Fotografien aus der zweimonatigen Existenz des KZ-Außenlagers in Engerhafe im Herbst 1944 sind nicht bekannt und trotz intensiver Suche bislang auch nicht aufgetaucht: keine s/w Fotografien als dokumentarische Beweise, etwa von den vier Baracken, die hier einen Steinwurf entfernt standen, geschweige denn Fotografien oder Häftlingszeichnungen, die das Elend der 2.000 in Engerhafe eingesperrten KZ-Gefangenen visuell bezeugen würden. Es existieren zwar Überflugaufnahmen der britischen Luftwaffe, aber die wurden aus so großer Höhe geschossen, dass sich darauf das Lager eher erahnen als wirklich erkennen lässt.

Im Nachhinein – so der Anschein – hat diese Bild-losigkeit das Grauen des Lagers und die KZ-Verbrechen an den Häftlingen gleichsam zum Verschwinden gebracht. Weil die Geschichte visuell nicht sichtbar war, schien sie prädestiniert, schnell dem Vergessen anheimzufallen.

Gegen das Vergessen – das haben wir eben gehört – hat Herbert Müller mit seinen künstlerischen Werken zu Engerhafe regelrecht »angearbeitet« und die Aktivitäten des Gedenkstättenvereins erhielten dadurch Kontur. Außerdem gab es über Jahrzehnte hinweg immer wieder auch Anläufe einzelner lokaler sowie regionaler Akteure und Akteurinnen gab, die den Finger in die Wunde legten, um die KZ-Verbrechen aufzuarbeiten und es gab das kirchliche Gedenken in Engerhafe rund um das KZ-Gräberfeld auf dem Friedhof. Ich kann verraten, dass das auch Gegenstand der Ausstellung ist.

WIE sind wir in der neuen Ausstellung mit dem Fehlen von lagerzeitlichen Bildzeugnissen, also fehlender visueller Evidenz umgegangen? Auf diese Frage möchte ich im Folgenden eingehen und Ihnen die Erzählstränge und die Gestaltungsprinzipien der Ausstellung erläutern, die wir mit dem Bremer Gestaltungsbüro »Gruppe für Gestaltung« im Verbund mit dem Gestaltungsbüro »oblik« – ebenfalls aus Bremen entwickelt haben, d.h. u.a. multiperspektivisch, mit interaktiven Elementen, mit dem zwei-Sinne-Prinzip und zweisprachig (deutsch/englisch).

Die Ausstellung »Zwangsarbeit für die Wehrmacht« erzählt vom Ort her. Sie beginnt und endet, wenn man so will, mit der Topografie des historischen Lagerortes. Bereits im Außenbereich finden Sie zur Orientierung ein Tastmodell vom KZ-Areal sowie eine Stele in der Nähe des früheren Lagereingangs. Im Inneren des denkmalgeschützten alten Steinhauses, dessen Anfänge bis auf das 14./15. Jahrhundert zurückreichen, können Sie sich über die lange Bauhistorie informieren.

Die museale Schau, die im Erdgeschoss des Steinhauses beginnt, hat ein Ausstellungsmöbel, das – könnte man von oben draufschauen – den Umrissen des Lagerareals in etwa entspricht. Dort befindet sich auch ein interaktiver Medientisch, der es ermöglicht, sich eigenständig einen Überblick über die topografische Entwicklung des Dorfes zwischen 1930 und 2023 zu verschaffen und zwar detailgenau!!! Dabei stehen der Aufbau, Ausbau und schließlich Abbau des Barackenlagers zwischen 1942 und 1946 im Zentrum, das im Zeitraffer auftaucht und verschwindet. Durch die Topografie sind auch die Berührungspunkte mit der Nachbarschaft sinnfällig. Wer mag, kann sich über Postkartenmotive von Engerhafe dem »Konzentrationslager von nebenan«, wie dieses einführende Kapitel heißt, nähern.

Das nächste Kapitel wechselt vom Nahbereich in die Vogelperspektive und verortet das KZ-Außenlager in Engerhafe in das System der über 85 Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme im nördlichen Deutschland. Dieses Netz von Außenlagern entstand durch die Einbeziehung der Konzentrationslager in die Kriegswirtschaft.

Das Lager in Engerhafe, das in der Nomenklatur der nationalsozialistischen Konzentrationslager meist nur als »Kommando Aurich« oder »Arbeitslager Aurich« bezeichnet wurde, gehörte zu den KZ-Außenlagern, die erst im Sommer bzw. Herbst 1944 entstanden, um für die Wehrmacht eine völlig sinnlose Verteidigungslinie auf den Inseln und an der Nordseeküste zu errichten. Die KZ-Häftlinge etwa, die im Engerhafer Barackenlager unter erbärmlichen und primitivsten Bedingungen untergebracht waren und von ca. 80 Marinesoldaten bewacht wurden, mussten für den Verteidigungsring rund im Aurich Panzerabwehrgräben ausheben.

Der tägliche Weg zwischen dem Unterbringungsort in Engerhafe und den Arbeitsorten rund im Aurich war etwa 15 Kilometer lang. Fußmarsch und Bahntransport der Häftlinge fanden also in der Öffentlichkeit statt. Über etwaige Fluchtversuche von Häftlingen wurde zudem in den Zeitungen berichtet. In diesem Kapitel wird besonders stark aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt: nämlich aus Sicht der lokalen Öffentlichkeit, der Konzentrationslager-SS und der Wehrmacht. Zentral ist jedoch die Sichtweise der KZ-Überlebenden. In der Ausstellung berichten der Niederländer Donald Bamberg, der polnische Jude Boris Bergman und die zwei Polen Felix Gdak und W. Siondalski im Interview über ihre Erfahrungen.

Der Dauerregen im Herbst, die miserable Verpflegung, die schwere Arbeit und die Misshandlungen führten zu einer hohen Sterblichkeit: jeder zehnte Häftling des KZ-Außenlagers starb: insgesamt waren es 188 Menschen. Davon handelt das vierte Kapitel. An exponierter Stelle sind dort in der Ausstellung – zwischen zwei Glasscheiben gepresst – die Zettel mit den Namen der Verstorbenen zu sehen. Diese Zettel sind die einzigen erhaltenen Originaldokumente aus der Engerhafer KZ-Lagerverwaltung. Insgesamt zeigt die Ausstellung 160 Exponate aus dem In- und Ausland, meist als Reproduktionen.

Das fünfte Kapitel schließlich ist biografisch angelegt und erzählt über Schlüsselexponate die Lebensgeschichten von acht Häftlingen des Lagers. Die hier Porträtierten stammten aus den Niederlanden, wie Pieter van der Weij bzw. aus Polen, Frankreich, der Ukraine, dem Deutschen Reich und Dänemark. Eine der Biografien ist eine Gruppenbiografie von Sinti und Roma, denn es ist nur bekannt, dass eine Gruppe Sinti und Roma über das Konzentrationslager Dachau nach Engerhafe kamen, aber nicht genau wer aus diesem Transport schließlich in Engerhafe landete.

Mit den Biografien endet im Erdgeschoss dieser Teil der Ausstellung. Im Obergeschoss wird sie fortgesetzt mit der Nachgeschichte des KZ-Außenlagers in Form einer Ortsbegehung, nämlich aus Sicht der Kirche, der Nachbarn, der überlebenden Häftlinge, der Staatsanwaltschaft Aurich, der französischen Exhumierungskommission, des Gedenkstättenvereins und des Künstlers Herbert Müller. UND im Foyer im Obergeschoss wird die Engerhafer Lokalperspektive erweitert und die Frage nach der NS-Zwangsarbeit auf die gesamte ostfriesische Halbinsel ausgedehnt. Weitere Gruppen von Zwangsarbeitenden werden vorgestellt: Vertragsarbeitende aus Westeuropa in Emden, französische Kriegsgefangene in Engerhafe, ukrainische Zwangsarbeiterinnen in Tannenhausen; niederländische Polizeihäftlinge in Brockzetel – um einige zu nennen. Geert bij de Leij, einer der Niederländer schrieb im Lager Brockzetel Tagebuch. Weitere Selbstzeugnisse sind etwa die aus Messinghülsen gefertigten Ringe, die sowjetische Kriegsgefangene in Tannenhausen als Tauschmittel nutzten sowie ein Brief, in dem Antonina Sidielnik ihrer als Zwangsarbeiterin im Marinearsenal Tannenhausen eingesetzten Schwester schildert, wie die deutschen Besatzer in ihrem Dorf in der westlichen Ukraine Hetzjagd auf Menschen machten und Dörfer niederbrannten, weil die vom Arbeitsamt ausgesuchten Menschen nicht zur Zwangsarbeit nach Deutschland wollten. Diesen Brief haben wir für die Ausstellung eigens verfilmen lassen.

Wie flächendeckend das Netz von Unterdrückungs- und Ausbeutungsorten auf der ostfriesischen Halbinsel war, davon vermittelt eine von Alwin de Buhr erarbeitete Überblickskarte. Bisher sind über 400 Lagerstandorte belegbar, die Nachforschungen dazu laufen weiter. Wer es genauer wissen möchte, kann im ausliegenden Adressbuch nachschlagen, wo es überall Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges auf der Halbinsel gab.

Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen war gewissermaßen die Spitze des Eisberges der NS-Zwangsarbeit, doch letztlich war Zwangsarbeit ein Massenphänomen, keineswegs hermetisch abgeschlossen, sondern zunehmend sichtbar und aufgrund der vielen darin Involvierten ein Gesellschaftsverbrechen und auch im nationalsozialistischen Ostfriesland fest verortet.